Erfahrungsbericht einer Pflegefamilie

Symbolbild

Bei dem Bild handelt es sich um ein Symbolbild.

​Interview

Können Sie sich als Familie kurz vorstellen?
Zusammen mit meinem Mann und unseren beiden leiblichen Kindern haben wir uns für die Aufnahme von zwei Pflegekindern im Kleinkindalter (drei Jahre und ein Jahr alt) entschieden. Das eine Kind lebt inzwischen seit zweieinhalb Jahren und das andere etwas mehr als ein Jahr bei uns, und sie sind inzwischen wichtiger Bestandteil unserer Familie geworden.
Wir haben uns damals gegen die Aufnahme von Bereitschaftskindern entschieden, weil wir kein ständiges Kommen und Gehen für unsere zwei eigenen Kinder wollten. Dennoch kann es sein, dass auch unsere Pflegekinder wieder zu ihren Eltern zurückgeführt werden könnten. Dafür sind wir offen. Vor allem dann, wenn die Eltern sich gut entwickeln, sie keine Gefahr für die Kinder darstellen und eine Bindung zwischen den Kindern und den Eltern besteht. Und das kommunizieren wir auch immer wieder mit unseren leiblichen Kindern. Bei unserem Pflegesohn sieht die Rückführungsperspektive gut aus, nach dem jetzigen Stand wird er bald zurück bei seiner Mutter sein, weil sie für sich ganz viel geklärt und erreicht hat. Er wird dann bei seiner Mutter sein und das gibt mir dann wieder Zufriedenheit.
Bei unserer Pflegetochter ist das ein ganz anderer Fall. Hier gibt es kaum Kontakt zur Mutter, weil diese derzeit wohl nicht zur Verfügung stehen kann.

Was hat Sie dazu motiviert Pflegekinder aufzunehmen?
Ich habe nach mehr Sinn im Leben gesucht. Arbeiten kann jeder, aber ein Leben retten, das kann nicht jeder. Wir haben ein gutes Leben, was wir Kindern bieten können, mit Vertrauen, Sicherheit und Struktur. Ein Ansatz war, dass es sowohl für das Kind als auch für uns eine Bereicherung werden wird. Der zweite Aspekt war, dass ich dann viel Zeit mit meinen Kindern verbringen kann, weil die werden schnell groß, und wenn man diese Kernzeit als Mama nicht begleiten kann, finde ich, hat man kein richtiges Fundament gebaut.

Warum haben Sie sich für „Die Option“ bei Wellenbrecher e.V. entschieden?
Von „Die Option“ habe ich von einer Verwandten erfahren, die auch Pflegekinder hat. Sie hat mir Wellenbrecher empfohlen und mir vom spezifischen Konzept berichtet und mich dazu motiviert. Genau wegen des Konzeptes habe ich mich für „Die Option“ entschieden. Mein Mann war erstmal dagegen, weil er Angst hatte. Intuitiv wussten wir dann irgendwann, es ist die richtige Aufgabe für uns.

Wie gestaltet sich Ihr Alltag?
Sehr, sehr bunt und voller Leben. Man hat 24 Stunden, sieben Tage die Woche, die Aufgabe, die Kinder zu erziehen und zu pflegen. Mit vier Kindern und dem Haushalt und den ganzen Terminen hat man gut zu tun.
Abends sitzen wir alle zusammen am Tisch zu einer Mahlzeit, das ist ein festes Ritual bei uns.
Ich muss darauf achten, dass ich mir dann wirklich zwischendurch Zeit für Sport, für die Selbstfürsorge und Achtsamkeit nehme. Wenn ich dann mal geschafft bin und Unterstützung brauche, dann helfen mein Mann und meine Mutter. Man braucht auf jeden Fall Rückhalt für die Aufgabe als Pflegefamilie.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Berater:innen von „Die Option“ aus?
In der Regel kommt unsere Beraterin einmal im Monat zu uns. Transparent und lösungsorientiert funktioniert die Beratung. Ich habe bisher mit keiner Beraterin Schwierigkeiten gehabt, sie waren alle sympathisch und rücksichtsvoll. Bis jetzt hat alles reibungslos und zuverlässig funktioniert, muss ich sagen. Bei Anliegen oder Fragen wurde immer alles rechtzeitig kommuniziert und auch gelöst.
Bei manchen Themen ist auch ein bisschen Geduld gefragt. Manche Fragen kann erst die Zeit beantworten. Hier arbeitet man mit Menschen, und da kann man vieles nicht im Voraus wissen, z.B. wie sich die Eltern entwickeln werden und ob das Kind dann zurückgeführt wird.

Was hat sich seit der Aufnahme des Kindes verändert?
Die Kinder haben unseren Horizont erweitert. Wir sind dadurch noch mehr gereift. Ich bin daran gewachsen, weil die Kinder für eine gewisse Selbstreflexion gesorgt haben. Dadurch, dass man mehr Herausforderungen hat, lernt man sich selbst noch besser kennen. Durch die Aufnahme der Pflegekinder leben wir noch viel bewusster. Das ist sehr schön. Man wird auch dankbarer und weiß vieles mehr zu schätzen, das ist es, glaube ich, im Kern.

Wie hat Ihr Umfeld reagiert?
Gut und schlecht. Die einen haben gesagt: „Du bist eine Heldin. Respekt, dass du diese herausfordernde Aufgabe machst.“ Das war für mich Balsam für die Seele. Andere haben aber auch gesagt: „Ist das denn nicht zu viel, du hast doch selber schon Kinder, warum machst du das denn?“ Ich denke, jeder ist ein anderer Typ, und mich erfüllt diese Aufgabe.

Wie haben sich die Pflegekinder in Ihre Lebenswelt integriert?
Sie haben den gleichen Stellenwert wie unsere eigenen Kinder. Die erste Zeit nach der Aufnahme war sehr spannend: Ein Kind mit anderen Genen aus einer anderen Lebenswelt zu erleben. Man hat andere Fähigkeiten und Charaktermerkmale gesehen. Da musste man erstmal gucken, wie man den Einklang findet und schauen, warum das Kind so ist und in die Geschichte der Kinder gucken. Beispielsweise, warum ist der Pflegesohn motorisch noch nicht so weit, was muss ich tun, um es zu fördern. Bei unserer Pflegetochter war es anders. Sie war gut entwickelt als sie zu uns kam.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Eltern ihres Pflegesohnes aus?
Ganz gut. Ich zeige mich den Eltern gegenüber loyal. Sie können für vieles nichts. Beide Eltern haben eine Vergangenheit, einen Rucksack, den sie tragen. Da nehme ich sehr viel Rücksicht drauf. Ich versuche auch, sehr viel Empathie mitzubringen. Es gibt natürlich Momente, wo es nicht so gut läuft, die Eltern wollen einfach Anerkennung und wichtig sein in solchen Momenten, weil nun mal ihr Kind bei mir lebt. Ich muss mich dann daran erinnern, ruhig zu bleiben und zu überlegen, bevor ich etwas sage. Es gab mal kleine Komplikationen, aber man muss sagen, wir haben es immer gelöst, weil wir uns ausgesprochen haben, ehrlich und transparent waren. Und wir haben immer versucht, dem Pflegesohn gerecht zu werden und lösungsorientiert zu gucken. Aber wenn ich manchmal nicht emphatisch geblieben wäre, dann wäre es bestimmt mal eskaliert. Das ist eine hohe Kunst.

Wie laufen die Treffen mit den Eltern ab?
In der einen Woche sieht unser Pflegesohn die Mama und in der anderen Woche den Papa. Das tut ihm sehr gut, er ist dann total interessiert und glücklich. Er weiß genau, dass wir die Pflegeeltern sind und die Eltern seine Eltern sind. Mittlerweile versteht er das.
Das wird individuell geplant. Bei uns ist es so, dass wir das Pflegekind gemeinsam von der Kita abholen, und dann gehen Mama oder Papa für zwei oder drei Stunden mit ihm ein Eis essen oder auf den Spielplatz oder in ein Einkaufszentrum. Die Eltern sorgen dann für eine Aktivität. Seit einem halben Jahr ca. bin ich bei den Kontakten nicht mehr dabei. Nach den Treffen bringen die Eltern ihn mir wieder nach Hause. Das läuft unproblematisch.

Was haben Sie gemacht, damit sie mit den Eltern in einen guten Kontakt gekommen sind?
Die haben uns und auch unser Zuhause kennengelernt. Die Eltern haben gemerkt, dass wir als Familie Sicherheit und eine gute Lebensqualität bieten, dass wir eine aktive Familie sind und auf Strukturen viel Wert legen. Und ich glaube, sie haben gemerkt, dass wir als Familie zusammenhalten und den Kindern Sicherheit geben und sie fördern. Das hat die Eltern, glaube ich, beruhigt.

Wie beziehen Sie die Eltern mit ein? Wie ist der Austausch zwischen Ihnen und den Eltern?
Ehrlich sein, transparent sein, kommunizieren und manchmal auch auf den richtigen Moment warten, das sind für mich die Kernpunkte. Mal ein Foto zwischendurch. Damit gebe ich den Eltern das Gefühl: „Hallo, uns geht es gut, wir denken an euch, ihr seid wichtig.“ Und ich glaube, das hat das Ganze zusammengeschweißt. Manchmal sprechen wir auch über Videotelefonie. Vor allem während des ersten Corona-Lockdowns statt der Besuchskontakte. Manchmal telefonieren wir spontan, wenn es Neuigkeiten gibt, manchmal aber auch terminiert.

Wie haben Sie die Eltern und das Kind das erste Mal kennengelernt?
Wir haben die Eltern und ihren Sohn gemeinsam in einer Mutter-Kind-Einrichtung kennengelernt, unsere Beraterin von „Die Option“ war auch dabei. Und dann gab es eine Anbahnung mit dem Kind, das heißt, wir haben ihn ca. sechs Mal getroffen, damit wir uns kennenlernen konnten, damit er nicht ins kalte Wasser geworfen wurde. Ja, und dann kam der Tag der Übergabe. Das war aufregend und voller Emotionen.

Wie haben Sie sich gefühlt als Sie ihr Pflegekind das erste Mal gesehen haben?
Einerseits glücklich aber auch traurig. Traurig, weil er von seinen Eltern getrennt wurde. Aber ich habe es als Aufgabe gesehen, die bewältigt werden muss und, dass das nicht umsonst passiert. Und ich dachte mir, irgendwann kommt vielleicht der Zeitpunkt, dass alles gut wird. Das alles seinen Lauf nehmen wird, und dass er erstmal in Sicherheit ist und nicht so vieles ertragen muss.

Können Sie von Ihrem schönsten Moment mit ihrem Pflegekind berichten?
Es sind viele kleine Momente, ich kann gar nicht einen einzigen Moment nennen. Es ist einfach toll zu sehen, wie prächtig und gesund sich beide Pflegekinder entwickeln. Das Strahlen in ihren Augen zu sehen macht mich glücklich. Aber ein Beispiel kann ich nennen. Gestern z.B. habe ich im Auto die Musik lauter gedreht, und alle vier Kinder haben gesungen, gelacht und sich zur Musik bewegt, das war ein toller Moment. Dieser Moment hat mich weiter durch den ganzen Tag getragen.

Was können Sie werdenden Pflegeeltern mit auf den Weg geben?
Erstmal würde ich ihnen sagen, dass es toll ist, dass sie sich dafür interessieren, ein Pflegekind aufzunehmen. Ich würde ihnen sagen, dass man bestimmte Fähigkeiten dafür braucht: Geduld, Zeit, innere Reife, Förderfähigkeiten, Organisationstalent. Man muss ebenfalls die Fähigkeit zur Kooperation mitbringen, weil man mit Wellenbrecher, dem Jugendamt, den leiblichen Eltern und mit Vormündern zusammenarbeitet. Man muss bereit sein für diese Aufgabe, weil es schon eine Herausforderung ist. Ebenso muss man wissen, dass man sein privates Leben teilt und man sich ein Stück weit öffnen muss.

Weitere Informationen zur Wellenbrecher-Pflegekinderhilfe Die Option finden Sie hier.